westafrikanische Militärstaaten \(17. bis 19. Jahrhundert\): Lohn der Gewalt

westafrikanische Militärstaaten \(17. bis 19. Jahrhundert\): Lohn der Gewalt
westafrikanische Militärstaaten (17. bis 19. Jahrhundert): Lohn der Gewalt
 
Auf europäischen Landkarten des 17. und 18. Jahrhunderts wurden die Landstriche der Guineaküste nach ihren hauptsächlichen Exportgütern unterschieden: Pfefferküste (Liberia), Elfenbeinküste (Côte d'Ivoire), Goldküste (Ghana) und Sklavenküste (Togo, Benin, Nigeria). Westafrikas Außenhandel mit Europa und Amerika, auf den diese Namensgebung zurückzuführen ist, spielte jedoch nur einen — wenn auch sehr gewichtigen — Part in dessen historischer Entwicklung ab dem 17. Jahrhundert. Jenseits des Küstenstreifens wurde bereits im 16. Jahrhundert die politische Landkarte von innen her »neu gezeichnet«. Im Zuge der Ausweitung des Transsaharahandels nach Süden errang einer der Yorubastaaten, Oyo, der Hausa-»Bastard« Yoruba, durch seine Handelsverbindungen mit Songhai und den Hausastadtstaaten eine Vormachtstellung in der Region, abgesichert durch eine schlagkräftige Armee aus Kavallerie und Bogenschützen. Deren Aufbau war auch durch Oyos Savannenlage (kein Vorkommen der Tsetsefliege) ermöglicht worden. Damit verbunden, konnte es seinen Machtbereich bis 1800 nach Norden und Westen (Dahome) ausdehnen, während ihm die Waldgebiete im Osten und Südosten eine natürliche Grenze setzten.
 
Dort expandierte seit dem 12. Jahrhundert sein »Pendant«, das Reich der Edo von Benin, das ab 1486 direkte Kontakte mit den Portugiesen unterhielt. Auch Benin, das sich wie Oyo auf seine Abstammung vom legendären Reich von Ife berief, war ein Militärstaat, der seinen Machtbereich bis 1800 im Norden bis zum Niger und im Südwesten bis an die Küste auf der Höhe von Lagos ausdehnte.
 
Im Wechselspiel innerer und äußerer Faktoren — Bevölkerungsverschiebungen und Ausweitung des Transsahara- und Transatlantikhandels — bildeten sich zwischen 1580 und 1630 in der Großregion eine Vielzahl neuer Staaten heraus. Zwei von ihnen, die Konföderation der Ashanti (Asante, heute Ghana) und das Königreich Dahome (Dahomey, heute Benin), stiegen schließlich ab 1700 zu Hegemonialmächten auf.
 
Neben diesen politisch ausgeklügelten und militärisch straff organisierten Zentralstaaten haben sich an der Küste aber auch zahlreiche kleinere Regionalstaaten und Gemeinwesen ohne Zentralgewalt (segmentäre Gesellschaften) behaupten können. Dazu zählen die Königtümer der Fante in Westghana, die ihre Autonomie gegenüber dem Ashantireich bis zum 19. Jahrhundert erfolgreich verteidigten. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch die »Lagunenvölker« des Westens (Elfenbeinküste), des Nigerdeltas (Ijo und Igbo, Nigeria) und des Cross River (Ibibio und Efik, Calabar/Nigeria).
 
 Die »Goldküste« (1471—1700)
 
Unter den ab 1500 einsetzenden Wanderungen größerer Bevölkerungsgruppen (Ga, Ewe und Akan), die sich über das gesamte Gebiet zwischen den Flüssen Bandama im Westen und Mono im Osten erstreckten, hat die sternförmige Ausbreitung der Akan zwischen 1600 und 1700, ausgehend von ihrem Kerngebiet südlich von Kumasi, langfristig wohl die größte Bedeutung gehabt. Aus der Vermischung der Einwanderer mit ansässigen Bevölkerungen sind im heutigen Ghana die östlichen Akan (etwa Ashanti/Asante und Fante) und im Gebiet der heutigen Elfenbeinküste die westlichen Akan (Anyi/Agni und Baule) hervorgegangen.
 
Verschiedene Quellen weisen darauf hin, dass die Migrationen der Akan in engem Zusammenhang mit dem Transsaharahandel standen, dem der Aufstieg Songhais und die Konsolidierung der Hausa-Stadtstaaten neue Impulse verliehen hatten. So unterhielten die östlichen Akan vom 16. Jahrhundert an als Hauptanbieter von Gold, Kolanüssen und Sklaven, die aus ihren neuen Siedlungsgebieten in den Waldregionen (Voltaregion/Ghana) stammten, regelmäßige Handelsbeziehungen mit den Mande und Hausa, von denen sie im Gegenzug mit Salz, Leder- und Eisenwaren, Stoffen und türkischen Teppichen beliefert wurden. Im Zuge des florierenden Handels entwickelten sich die Verkehrsknotenpunkte, allen voran Kumasi, aber auch die weiter nördlich gelegenen Orte Begho und Salaga, zu bedeutenden städtischen Zentren.
 
Dem Gold galt zunächst das Begehren der Portugiesen, die 1471 als erste ihren Anker vor der Küste warfen und westlich des Praflusses 1482 das Fort Elmina (»die Mine«) errichteten. Ihnen folgten nach und nach sämtliche aufstrebenden europäischen Nationen: im 16. Jahrhundert Franzosen, Engländer und Holländer, im 17. Jahrhundert dann Dänen, Schweden und Brandenburger, deren erbitterte Konkurrenz um die attraktiven Handelsplätze sich unter anderem in einer regen Bautätigkeit niederschlug. Von den insgesamt 42 an der westafrikanischen Küste zwischen Senegal und Kamerun errichteten Forts befanden sich allein 32 an der »Goldküste«.
 
»Schwarzes Gold« statt Gold
 
Infolge des rapide wachsenden Bedarfs an Arbeitskräften für die europäischen Zuckerrohrplantagen in der Karibik und im Zusammenhang mit der Kolonisierung Nordamerikas erwies sich der transatlantische Sklavenhandel von der Mitte des 17. Jahrhunderts an zunehmend attraktiver als der Export von Gold. Bis 1710 hatte er ihm schließlich den Rang abgelaufen, sodass die »Goldküste«, wie schon ein englischer Reisender 1726 ironisch anmerkte, ihren Namen eigentlich nicht mehr verdiente. Durchschnittlich 12000 Menschen jährlich wurden während des 18. Jahrhunderts von den Forts der Goldküste aus nach Übersee eingeschifft, während sich die Exporte von der eigentlichen »Sklavenküste« — den Buchten von Benin und Biafra — im selben Zeitraum auf etwa 30000 Menschen pro Jahr beliefen. Die Gesamtzahl der Sklavenexporte aus Westafrika ist bis heute noch nicht abschließend geklärt. Nach neuesten Schätzungen kann jedoch davon ausgegangen werden, dass allein über die Häfen der Unteren Guineaküste zwischen 1700 und 1800 annähernd drei Millionen afrikanischer Männer, Frauen und Kinder verschleppt worden sind.
 
Hatte der Transsaharahandel als Katalysator für die Staatenbildung im Inneren der »Goldküste« gewirkt, so »beschleunigte« nunmehr der transatlantische Handel mit dem »schwarzen Gold« die Expansion und Zentralisierung einiger der Staaten, die sich ehedem in der Übergangszone zwischen Savanne und Wald entfaltet hatten und dank des lukrativen Handels mit Europa wirtschaftlich und militärisch erstarkt waren. Unter dem Einfluss fortgesetzter Kriege und Wanderungen »verschmolzen« die 38 Staaten, die auf einer holländischen Karte von 1629 zwischen den Flüssen Tano und Volta verzeichnet waren, bis zum Ende des 17. Jahrhunderts zu drei Hegemonialstaaten: Denkyira, Aowin und Akwamu.
 
Dieses neue Machtgleichgewicht wurde allerdings bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts durch zwei unterschiedliche Gegenkräfte erschüttert. So setzten sich zum einen die Fantestaaten an der Küste erfolgreich gegen ihre drohende Eroberung zur Wehr. Sie hatten zur Verteidigung ihres Territoriums, zu dem die bedeutenden holländischen und englischen Handelsniederlassungen Komenda, Elmina, Cape Coast und Anomabu gehörten, eine Konföderation gebildet und ihre Streitkräfte einem gemeinsamen Oberbefehlshaber unterstellt. Zum anderen erhob sich 1698 im Inneren das Ashantireich von Kumasi, Vasall des mächtigen Denkyira, gegen dessen exzessive Tributforderungen und ging, unterstützt von Akwamu, aus dem anschließenden Krieg gegen Denkyira (1700—01) als Sieger und unabhängiger Staat hervor.
 
 Die Konföderation der Ashanti im 18. Jahrhundert
 
Der Sieg der Ashanti über Denkyira war der Auftakt für die Bildung eines Zentralstaates, der seine Macht bis 1750 auf das gesamte Gebiet des heutigen Ghana, mit Ausnahme der Küstenstaaten der Fante, ausdehnen konnte. Die erfolgreiche militärische Expansion und politische Konsolidierung des Ashantireiches beruhten darauf, dass es sich die innenpolitische Schwäche seiner Gegner zunutze machte und darüber hinaus gewissermaßen aus deren Fehlern lernte, indem es mit einem konföderativen Staatsmodell neue Wege zur nationalen Einigung beschritt. Diesem Staatenbund schlossen sich als Erste die Vasallen Denkyiras an, die durch mitunter erdrückende Tributzahlungen an dessen Imperium gebunden, politisch aber von diesem vernachlässigt, wenn nicht gar verachtet worden waren.
 
Nach der Überlieferung wurde dem ersten Staatsoberhaupt des Reiches, dem von 1689 bis 1717 regierenden asantehene Osei Tutu, vom Himmel der »Goldene Stuhl« überbracht, der Sitz der »Seele der Ashantination« und Symbol der politischen Einheit des Staates. Auf diesen Thronsitz, der nie »besessen«, jedoch bei allen festlichen Anlässen in der Öffentlichkeit gezeigt wurde, leisteten die Bundesgenossen den Eid, mit dem sie die Oberhoheit der Ashanti anerkannten. Auf den Überbringer dieser »göttlichen Gabe«, den Priester Okomfo Anokye, geht auch die Unionsverfassung des Reiches zurück. Sie bestand aus 77 Gesetzen und schrieb die politische Grundstruktur des Staates fest, der in ein metropolitanes Asante und seine Provinzen, Groß-Asante, unterteilt wurde.
 
Zum metropolitanen Asante gehörten alle im Umkreis von 50 km um die Hauptstadt Kumasi gelegenen Territorien, deren Staatsoberhäupter als Mitglieder der Ratsversammlung an den Regierungsgeschäften beteiligt wurden und im Kriegsfall das Oberkommando über ein Regiment innerhalb der in fünf Flügel unterteilten Ashantiarmee führten — eine geschickte Verquickung politischer und militärischer Teilhabe am Staatsgeschehen, durch die sich der Hof in Kumasi die Loyalität seiner Bundesgenossen sicherte.
 
Anders verhielt es sich mit den Provinzen, die sich aus den von den Ashanti eroberten und zu Tributzahlungen und Beteiligung an Kriegszügen verpflichteten Staaten zusammensetzten. Sie hatten weder einen Sitz im Rat der Ashanti noch direkten Zugang zum »Stuhl«, sondern waren lediglich über einen Mitgliedsstaat der Konföderation angebunden (Klientelsystem). Um der Gefahr einer Destabilisierung des Reiches von den Rändern her zu begegnen, entsandte Kumasi ab 1760 Verwaltungsbeamte und politische Aufseher in seine nördlichen Provinzen Dagomba, Gonja und Mamprusi.
 
Die »Königinmütter«
 
Dem Monarchen zur Seite stand die einzige Frau im Ashantireich, die ein politisches Amt innehatte. Die asantehemaa, der »weibliche Herrscher Asantes« — zumeist die leibliche Mutter des Souveräns oder seine Tante mütterlicherseits — war dessen oberste politische Beraterin und laut Verfassung auch zur öffentlichen Kritik seiner Fehlentscheidungen berechtigt. Darüber hinaus überwachte sie die Rechtmäßigkeit der Thronfolge und schlug der Ratsversammlung ihren Kandidaten für den »Stuhl« vor.
 
Wichtige Staatsangelegenheiten konnten im Rat der Ashanti, dem sie als stellvertretende Vorsitzende angehörte, nur in ihrem Beisein beschlossen werden. Sie verfügte über eine separate Residenz mit eigenem Gerichtshof, wo sie den Vorsitz in Frauenangelegenheiten und den Rechtsstreitigkeiten innerhalb des königlichen Klans führte. Aufgrund der Gütertrennung zwischen Ehegatten konnte sie, wie alle Frauen der Ashanti, ihr eigenes Einkommen erwirtschaften. Die als Besitzerinnen großer Farmen und als Händlerinnen von Gold, Kolanüssen und Kautschuk zu beträchtlichem Reichtum gekommenen »Königinmütter« wurden von staunenden europäischen Reisenden des 19. Jahrhunderts wiederholt erwähnt.
 
 
Ihre 15 bis 30 Meter breiten, von Bananenstauden gesäumten Avenuen verliehen der zu Beginn des 19. Jahrhunderts etwa 200000 Einwohner zählenden Hauptstadt des Ashantireiches den Ruf einer »Gartenstadt«, in deren Anlage und Architektur sich die Wirtschaftskraft, die politische Macht und kulturelle Vielfalt des Reiches verkörperten. Während die Stadtentwicklung an der Küste als direkte Folge der europäischen Präsenz und des Transatlantikhandels anzusehen ist, waren für Aufstieg und Blüte der bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts von europäischem Einfluss unberührten Binnenmetropole Kumasi andere Faktoren maßgeblich: Neben dem Transsaharahandel schlugen sich vor allem die militärischen Expansionen Asantes und die Bildung der Konföderation im Stadtbild nieder.
 
Hier befand sich das Machtzentrum des Landes, der Palast des asantehene, umgeben von Regierungs- und Verwaltungsgebäuden sowie den Wohnhäusern der Staatsbediensteten. Die Quartiere der muslimischen Gemeinde — der Händler, Schriftgelehrten und Imame aus dem Norden —, die reich verzierten zweistöckigen Anwesen von Ashanti-Kaufleuten, deren Wohlstand sich dem Sklavenhandel verdankte, sowie zahlreiche Werkstätten von Töpfern, Holz- und Elfenbeinschnitzern, Goldschmieden und Messinggießern, Baumwoll- und Seidenwebern zeugten von Kumasis Bedeutung als Drehscheibe des Handels und Zentrum des Kunsthandwerks.
 
In Schwung gehalten wurde die städtische Wirtschaft in erster Linie vom königlichen Hof, dem wichtigsten Auftraggeber und Förderer von Handwerkern und Künstlern, die er aus allen Teilen des Reiches in Kumasi zusammengezogen hatte. Sie fertigten unter anderem die goldenen Königsinsignien und Gewänder, welche ebenso wie die strenge höfische Etikette und prunkvolle Zeremonien die Herrschaftsverhältnisse im Ashantireich symbolisch überhöhten. Bei diesen Gelegenheiten wurde Macht inszeniert, aber auch Gemeinschaftsgefühl und Respekt bei der Bevölkerung geweckt.
 
 Die Ashanti-Fante-Kriege und die britische Expansion (1807—1874)
 
In der Absicht, den transatlantischen Sklavenhandel, der 90 Prozent aller Exporte von der »Goldküste« ausmachte, unter seine direkte Kontrolle zu bringen, hatten die Ashanti bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts militärische Vorstöße zur Küste unternommen, waren aber stets an der von den Europäern unterstützten Allianz der Fantestaaten gescheitert. Ein erneuter, unter asantehene Osei Bonsu (1801—1824) ab 1807 unternommener Feldzug brachte dem Ashantireich zwar 1816 die vorläufige Oberherrschaft über die Küste ein; seine wirtschaftlichen Interessen riefen jedoch starke Gegenkräfte auf den Plan. Da Großbritannien 1807 die Abschaffung des Sklavenhandels verfügt hatte und die britische Flotte vor der Küste patroullieren ließ, um das Verbot durchzusetzen, war der Zusammenstoß zwischen den beiden Großmächten vorprogrammiert.
 
Ein entsprechender Anlass war bald gegeben: 1821 erklärte Großbritannien die Forts der »Goldküste« zum britischen Krongebiet und ernannte Sir Charles MacCarthy zum ersten Gouverneur. Der Mangel an diplomatischem Geschick auf der britischen Seite sowie die Entführung und Hinrichtung eines Fantesergeanten in Diensten der britischen Armee durch die Ashanti mündeten in den ersten »Ashantikrieg« ein, in dessen Verlauf MacCarthy 1824 in Kumasi fiel. Bereits zwei Jahre später wendete sich das Blatt, als die Ashanti von einer Koalition aus Fante und Briten vernichtend geschlagen wurden. Kurze Zeit darauf setzte an der Küste unter dem britischen Gouverneur George MacLean (1830—1843) eine Periode der Stabilität und friedlichen Entwicklung ein, unter deren Einfluss sich die Fantestaaten wirtschaftlich und politisch regenerieren konnten. Da die britische Krone sich 1830 aus Kostengründen von der »Goldküste« zurückgezogen hatte, lag die Verwaltung der Forts nun wieder in Händen von Kaufleuten. MacLean selbst war Vorsitzender des britischen Handelsrats und mit bemerkenswertem Geschäftssinn und Menschenkenntnis ausgezeichnet.
 
So erzielte er den Abschluss eines Dreiervertrages zwischen Ashanti, Fante und Großbritannien, deren Unterzeichner die Unabhängigkeit der Küstenstaaten anerkannten, offene Handelsrouten garantierten und sich verpflichteten, im Konfliktfalle Großbritannien als Schlichter anzurufen. Er führte die britische Rechtsprechung ein und gab der Fantebevölkerung damit ein Mittel an die Hand, das sich für sie später im Umgang mit der britischen Krone als sehr nützlich erweisen sollte. Die Fante waren die engsten Handelspartner der Europäer im Geschäft mit den Sklaven gewesen. Nach der Abschaffung des transatlantischen Sklavenhandels lag ihre Wirtschaft danieder. MacLean verhalf ihr durch die Förderung der Palmölproduktion zu neuem Aufschwung. Damit legte er auch den Grundstein für den wirtschaftlichen Strukturwandel an der südlichen »Goldküste«, den Übergang zum »legitimen Handel«. Bereits 1840 stellte Palmöl das wichtigste Ausfuhrprodukt der »Goldküste« dar; hinzu kam der ab 1870 erstmals in größerem Umfang exportierte Kautschuk.
 
Den Erfolgen MacLeans, die er oft in Missachtung der amtlichen Anweisungen aus London errungen hatte, wurde 1843 mit seiner Absetzung ein abruptes Ende gesetzt. Die britische Krone brachte sich erneut in den Besitz der Forts an der »Goldküste« und erklärte deren Hinterland nach Abschluss eines Vertrages mit den Oberhäuptern der Fantestaaten 1844 zum britischen Protektorat.
 
Widerstand gegen die Briten
 
Die britische Kolonialpolitik an der »Goldküste« fand jedoch nur wenig Anklang bei den neuen Untertanen der Krone. Mit einer Petition protestierten 1864 die Oberhäupter der Küstenstaaten gegen die 1852 eingeführte Kopfsteuer, die entgegen der Zusage nicht zum Bau von Straßen und Schulen verwendet wurde, sondern im Verwaltungsapparat versickerte, und gegen die Missachtung ihrer Autorität seitens der britischen Verwaltungsbeamten.
 
Unterstützt wurde die Bewegung von der ersten Generation einheimischer Intellektueller, die unter anderem aus dem 1827 gegründeten »Fourah Bay College« in Freetown (Sierra Leone) hervorgegangen waren. 1868 schlossen sich 31 Staaten — Fante- und andere Küstenstaaten, aber auch die Ashantiprovinzen Denkyira und Assin — zu einer Konföderation zusammen (Mankessim-Versammlung). Sie verabschiedeten eine Verfassung, richteten ein Verwaltungs-, Steuer- und Justizwesen ein und stellten eine Armee auf, um sich gegen die Übergriffe der Ashanti zu verteidigen.
 
Von den Kolonialbehörden wurde dieser bemerkenswerte Versuch der Selbstregierung, in dem sich afrikanische und europäische Staatsideen verbanden, als Verschwörung betrachtet und bis 1872 zu Fall gebracht. Dies schmälert allerdings keineswegs die historische Bedeutung der Konföderation als politische Vorläuferin der »Gesellschaft zum Schutz der Rechte der Einheimischen« (1897) und des »Nationalkongresses von Britisch-Westafrika« (1913).
 
1872 unternahm die Ashantikonföderation einen erneuten militärischen Vorstoß an die Küste, um die abtrünnigen Provinzen Denkyira, Assin und Akyem zurückzuerobern und darüber hinaus Asantes Anspruch auf das Fort Elmina durchzusetzen, das mit dem Abzug der Holländer 1871 in britische Hände übergegangen war. In der Absicht, das »Ashantiproblem« ein für alle Mal zu regeln, und in unguter Erinnerung an zwei empfindliche Niederlagen, die ihnen die letzte Invasion der Ashanti 1863 beigebracht hatte, rückten schwer bewaffnete und kanonenbestückte britische Truppen 1874 auf Kumasi vor, legten die Stadt in Schutt und Asche und sprengten den Palast. Die Sieger zwangen den asantehene zum Vertrag von Fomena (1874), in dem der Ashantistaat auf seine territorialen Ansprüche an der Goldküste, dem britischen Protektoratsgebiet, verzichtete und sich zur Zahlung eines Schadensersatzes von 50000 Unzen Gold verpflichtete. Nach Jahren erbitterten Widerstandes wurde die Ashantination 1901 schließlich der britischen Kolonie Goldküste einverleibt. Der Forderung nach Herausgabe des »Goldenen Stuhls« widersetzte sie sich allerdings mit Erfolg.
 
 
Die Anfänge Dahomes gingen laut Überlieferung auf einen Familienstreit im Herrscherhaus von Allada zurück: War es ratsam, die Beziehungen zu den holländischen Sklavenhändlern an der Küste auszubauen? Diejenigen, die sich dagegen ausgesprochen hatten, zogen nach Abomey — 80 km nördlich von Allada und außerhalb europäischer Reichweite —, um dort 1625 ihren eigenen Staat zu gründen. Ob das genannte Motiv tatsächlich den Exodus ausgelöst oder es sich um einen Thronfolgestreit gehandelt hat, ist ungeklärt. Sicher ist allerdings, dass die Beteiligung der Königreiche Allada, Ouidah, Popo und Jakin am transatlantischen Sklavenhandel im Verlauf des 17. Jahrhunderts zur zunehmenden inneren Zerrüttung und zum Zusammenbruch ihrer gegenseitigen Beziehungen geführt hatte. In diesem politischen Vakuum gelang es Dahome, sich bis 1700 zur stärksten Macht in der Region zu entwickeln und unter König Agadja (1708—1740) schließlich Allada (1724) und Ouidah (1727) zu erobern.
 
Dahomes spektakulärer Aufstieg beruhte im Wesentlichen darauf, dass es zu einem zentralisierten Staat mit einem absoluten Herrscher an der Spitze und einer gut ausgebildeten Berufsarmee aufgebaut worden war. Damit ließ es herkömmliche Vorstellungen vom Staat als »Großfamilie«, in denen den Ältestenräten große Bedeutung zugekommen war, hinter sich zurück. Seiner Staatsphilosophie zufolge glich das Königreich einem durchlöcherten und mit lebensspendendem Wasser, dem Symbol für den Monarchen, gefüllten Topf. Um das Auslaufen des Wassers zu verhindern, mussten alle Bewohner von Dahome die Öffnungen zuhalten, das heißt, jeder einzelne war gefordert, dem König loyal zu dienen.
 
Vermutlich lag hierin auch der Grund für das von König Agadja zunächst verhängte Verbot des Sklavenexports, insofern man Kriegsgefangene und andere Unfreie vorrangig für den wirtschaftlichen und militärischen Aufbau Dahomes und für die alljährlichen Menschenopfer von oft beträchtlichem Ausmaß benötigte. Diese Zurückhaltung wurde spätestens mit der Eroberung Ouidahs, einem Hauptumschlagplatz des transatlantischen Sklavenhandels, aufgegeben; bereits 1730 erklärte Dahome den Menschenhandel zum staatlichen Monopol und führte ihn von da an fort, solange Nachfrage bestand.
 
Dahomes Expansionen forderten das militärische Eingreifen des Yorubareiches Oyo zwischen 1726 und 1739 geradezu heraus. Die Hegemonialmacht sah durch den Verlust ihres Vasallen Allada, verbunden mit der Weigerung Dahomes, Tribut zu entrichten, ihre Vormachtstellung in der Region bedroht. Auch fürchtete sie nach dem Fall Ouidahs um ihren ungehinderten Zugang zur Küste, mit dem die Abwicklung ihrer Sklavenexporte verbunden war. Der Friedensvertrag von 1748, in dem Agadjas Nachfolger Tegbesu (1740—74) Dahomes Vasallenstatus gegenüber Oyo anerkannte und sich zur jährlichen Entrichtung eines Tributs von »40 Männern, 40 Frauen, 40 Gewehren und 40 Säcken Kaurimuscheln« verpflichtete, beendete vorläufig die Konflikte.
 
Erst ab 1820, mit dem Zusammenbruch des durch innenpolitische Krisen und die Expansion des Kalifats von Sokoto schwer erschütterten Oyo, erlangte Dahome seine Unabhängigkeit wieder. Mehr noch: Eine Reihe von Angriffskriegen gegen die Yoruba, aber auch gegen die Küstenstaaten (Porto Novo), sicherte ihm unter den Königen Ghezo (1818—58) und Glele (1858—89) die Hegemonie in der Region. Die mit Dahomes Aufstieg zur Großmacht gewachsene Bedeutung des Militärs schlug sich in der Gesellschaftsstruktur nieder und schuf nicht zuletzt den Stoff für zahlreiche Legenden.
 
Die Frauen des Königs
 
Maßgeblich zum Mythos eines mächtigen und unbesiegbaren Dahome beigetragen hat sein »Furcht erregendes Amazonenheer«, das kein europäischer Berichterstatter des 18./19. Jahrhunderts zu erwähnen vergaß. Historisch nachgewiesen ist, dass seit Ende des 17. Jahrhunderts (Regierungszeit von Akaba 1680—1708) Frauen als Kriegerinnen und Palastwachen dienten. Aber erst nach 1840 baute König Ghezo ein weibliches Berufsheer auf, das nach Schätzungen von Historikern 4000 bis 5000 Soldatinnen umfasste, das waren 30 bis 50 Prozent der gesamten Armee. Diese Amazonen wurden zur Ehelosigkeit verpflichtet.
 
Durch die verstärkte Rekrutierung von Frauen sollten zum einen die hohen Verluste, die Dahomes Angriffskriege unter seinen Truppen gefordert hatten, ausgeglichen werden. Darüber hinaus schrieb man Frauen sowohl ein hohes Maß an Mut und Tapferkeit als auch besondere Geschicklichkeit im Umgang mit Waffen zu und setzte sie aus diesem Grund überwiegend als Angriffstruppen und Scharfschützinnen ein; die Vorliebe der »Amazonen« für Winchester- und deutsche Schnellfeuergewehre war ab den 1880er-Jahren in den Reihen der Kolonialtruppen allseits bekannt und gefürchtet.
 
Der Militärdienst von Frauen war jedoch nur ein Aspekt der gesellschaftlichen »Architektur« Dahomes im 19. Jahrhundert, wonach Frauen eine ebenso große Bedeutung wie Männern beigemessen wurde. Grundlage dafür war die »duale Komplementarität«, das heißt die Auffassung von der Harmonie, die auf dem Zusammenwirken von Gegensätzen — Männer/Frauen, Lebende/Tote, Adlige/Gemeine, links/rechts — beruht. Diese Weltsicht durchzog sämtliche Bereiche, angefangen von der Palastarchitektur über die Staatsämter, deren jedes stets gedoppelt, das heißt mit einem Mann und einer Frau besetzt wurde, bis hin zur Organisation der Dorf- und Familienräte mit ihren männlichen und weiblichen Oberhäuptern.
 
Nicht nur im spirituellen Sinne, sondern auch in realpolitischer Hinsicht wurden Frauen als wichtige Elemente zur Konsolidierung des Staates und der Integration der eroberten Regionen betrachtet. Nicht zufällig stammten viele weibliche Palastangehörige aus dem Yorubaland oder der Mahiregion (Nordostdahome). Darüber hinaus rekrutierte der Hof auch in großem Umfang loyale weibliche Vertraute aus den Reihen der eigenen Bevölkerung.
 
Jede Familie in Dahome musste eine Tochter als »Tribut« an die Monarchie abgeben. Die im Alter von 10 bis 14 Jahren rekrutierten Mädchen wurden auf Lebenszeit zu »Frauen des Königs«, das heißt entweder in die Armee oder in den Palasthaushalt eingegliedert, der vollständig in weiblichen Händen lag. Je nach gesellschaftlicher Herkunft, ihrem Dienstalter und ihren Fähigkeiten arbeiteten sie dort als Dienstmädchen, Hauswirtschafterinnen, Handwerkerinnen oder Verwalterinnen, waren als Händlerinnen, Aufseherinnen der königlichen Palmölplantagen, als Spioninnen, aber auch als Prostituierte in den staatlich betriebenen Bordellen tätig.
 
Wie im Ashantireich war auch in Dahome die einflussreichste Stellung, zu der eine Frau aufsteigen konnte, das Amt der »Königinmutter«. Zur Kpojita, »derjenigen, die den Leoparden geboren hat«, wurde die leibliche oder »Adoptiv«mutter des Monarchen ernannt, häufig eine der Ehefrauen seines Vorgängers, die einen aussichtsreichen Prinzen protegierte. Diese »Mutter der Nation« durfte allerdings, im Gegensatz zum Ashantistaat, aus Gründen der oben beschriebenen gesellschaftlichen »Architektur« keine Aristokratin sein, sondern musste aus dem Volk stammen. Auch hier schlug sich der Integrationsgedanke nieder, insofern die Königinmütter fast ausnahmslos aus Grenzregionen kamen.
 
Innere Umbrüche und äußere Bedrohung
 
Von Symmetrie und dem Ausgleich der Gegensätze war die Situation in Dahome in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allerdings weit entfernt. Darauf deuten nicht nur zahlreiche Versuche der Bevölkerung hin, ihre Töchter vor den Rekrutierungen zu verstecken, sondern auch die durch Dahomes Expansionen ausgelösten massiven Fluchtbewegungen in Yorubaland und Porto Novo. Kriegsgefangenschaft bedeutete nach wie vor Versklavung und damit entweder die Verschiffung nach Brasilien — wohin bis 1888 regelmäßig Menschen exportiert wurden — oder den Einsatz in den Palmenplantagen, mit denen Dahome in den »legitimen Handel« (Palmöl) einstieg. Dementsprechend hoch war der Anteil an Sklaven, die 20 bis 30 Prozent der insgesamt etwa 350000 Einwohner Dahomes ausmachten.
 
Die Machenschaften der Prinzen und der höfischen Günstlinge, die nach materieller Bereicherung und politischer Einflussnahme strebten — unter König Ghezo waren Angehörige der Aristokratie erstmals zu Ministerämtern zugelassen worden —, zersetzten die politische Geschlossenheit des Königreichs von innen her und brachten die neue bürgerliche »Mittelschicht« in den Küstenstädten zunehmend gegen die Monarchie auf. In Ouidah und Porto Novo hatten sich, zusätzlich zu den schon seit Jahrhunderten hier ansässigen und im Sklavenhandel engagierten brasilianischen Familien, eine beträchtliche Anzahl freigelassener Sklaven aus Kuba, Bahia (Brasilien) und den Westindischen Inseln etabliert. Ihre Aktivitäten in Handel, Handwerk und Bildung trugen maßgeblich zur Entwicklung einer modernen städtischen Wirtschaft und Kultur bei — was Dahome übrigens seinen Ruf als »Quartier Latin« Westafrikas eintrug.
 
Als im Anschluss an die britische Annexion von Lagos 1861 die gesamte Untere Guineaküste zum Objekt rivalisierender europäischer Kolonialinteressen wurde, fand eine Intervention durchaus die Zustimmung derer, die unter Dahome zu leiden hatten, angefangen bei der Einrichtung des französischen Protektorats in Porto Novo 1863 oder der britisch-französischen Aufteilung des Yorubalandes im selben Jahr. Was dann folgte, gehorchte alleine dem Widerstreit der imperialistischen Interessen: Angesichts britischen und deutschen »Appetits« auf Dahome ging Frankreich 1890 zum Angriff gegen das Königreich über, das nach erbittertem Widerstand und unter dramatischen Verlusten 1894 zur französischen Kolonie Dahomey wurde.
 
Dr. Brigitte Reinwald
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Sklavenhandel: Menschen als Ware
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
afrikanische Großreiche der Sudanzone: Zwischen Regenwald und Wüste
 
 
Aidoo, Agnes Akosua: Asante Queen mothers in government and politics in the nineteenth century, in: The black woman cross-culturally, herausgegeben von Filomina C. Steady. Cambridge, Mass., 1981.
 Bay, Edna G.: The royal women of Abomey. Dissertation Boston, Mass., 1977. Nachdruck Ann Arbor, Mich., 1982.
 Coquery-Vidrovitch, Catherine: Histoire des villes d'Afrique noire. Des origines à la colonisation. Paris 1993.
 Fage, John D.: A history of West Africa. An introductory survey. Cambridge 41969. Nachdruck Cambridge 1972.
 Garcia, Luc: Le Royaume du Dahomé face à la pénétration coloniale. Affrontements et incompréhension (1875-1894). Paris 1988.
 Harding, Leonhard: Herrschaft und politische Symbole in Afrika, in: Afrika und Übersee. Sprachen, Kulturen, Band 76. Berlin 1993.

Universal-Lexikon. 2012.

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